Shai Hoffmann:
Mein langfristiges Ziel ist Gesundheit

langfristiges Ziel Gesundheit

Hinweis: Dies ist einer von insgesamt zehn inspirierenden Gastartikel aus Ein gutes Ziel, welches du dir hier sichern kannst. Danke dir Shai, für deinen bewegenden Artikel!

 

Mein langfristiges Ziel ist Gesundheit

Von Shai Hoffmann

Ich erinnere mich an diesen Tag, als wäre er gestern gewesen. Ich erwachte nachmittags langsam aus dem Schlaf. Es war Dienstag, der 24.4.2007. Ich drehte meinen Kopf zum Fenster und merkte, wie mir die Sonne ins Gesicht schien. Es fühlte sich merkwürdig schön und warm an. Merkwürdig schön, weil ich die kleinen, grünen, halbgeöffneten Knospen am Baum vor dem Fenster so gestochen scharf und kontrastreich erkannte. Mein zweiter Gedanke galt meinem Vater, der im selben Zimmer neben mir lag und ebenfalls langsam die Augen öffnete.

An jenem Tag hat mir mein Vater seine Niere gespendet. Aus bedingungsloser Liebe zu seinem eigenen Kind. Damit hat Papa mir neue Lebensqualität geschenkt, die ich einige Stunden nach der Transplantation bereits spürte. Das Organ nahm direkt nach der Verbindung mit meiner Beinschlagader seine Funktion auf.

Der Transplantation vorausgegangen war eine lange Krankengeschichte. Die Ärzte diagnostizierten mir einen angeborenen Fehler der Harnleitern. Sie waren beidseits, sowohl am Ausgang von den Nieren als auch am Eingang in die Blase, verengt. Das führte zu einem Harnstau, der über Jahre mein Nierenparenchym beschädigte und perspektivisch eine Nierenersatztherapie (z.B. Hämodialyse) erforderlich machte. Bis 2007 war mein Alltag von Arztbesuchen, Operationen und deutlichen Symptomen immer schlechter werdender Nierenwerte geprägt. Diese äußerten sich vor allem in Form von Schlieren in den Augen, Müdigkeit, Unkonzentriertheit sowie starkem Hautjucken, da sich die Giftstoffe den Weg aus dem Körper durch die Haut suchten – unserem größten Organ.

Diese Geschichte ist mein „Rucksack“. Sie prägte und prägt mich. Meine vielen Krankenhaus- sowie Arztbesuche erden mich und lassen mich immer wieder spüren, worauf es im Leben ankommt: Gesundheit, Liebe und Wertschätzung. Auch heute noch schwingt in mir bei jeder Routineuntersuchung große Angst mit. Meine Ärztin könnte mich anrufen und mir mitteilen, dass die Nierenfunktion schlechter und jetzt mein Alptraum wahr würde: Dialyse. Diese Vorstellung bereitet mir große Sorge und beherrscht oft meine Gefühle, auch wenn man es mir auf den ersten Blick nicht anmerkt. Denn mir ist klar: Die Hämodialyse würde meine Lebensqualität deutlich einschränken und den zu tragenden „Rucksack“ wohl noch schwerer machen.

Ich habe Grund zu feiern: Denn am 24.4.2017 wird meine Niere, die übrigens im Unterbauch „eingebaut“ wurde, zehn Jahre alt. Mediziner sagen, dass eine Spenderniere im Durchschnitt circa 10-12 Jahre hält. Sehr viele meiner Entscheidungen werden stark von diesem Bewusstsein der „Haltbarkeit“ beeinflusst. Nicht immer zum Positiven. Denn mir fällt es beispielsweise schwer langfristige Ziele zu setzen, da meine gesundheitliche Zukunft ungewiss ist. Ich konzentriere meine derzeit zur Verfügung stehenden Kräfte auf meine kurz- bis mittelfristigen Projektziele, die ich leidenschaftlich und zielstrebig verfolge.

Dabei motivieren mich unter anderem Begegnungen wie diese: Während eines Krankenhausbesuche im Jahre 2015 lag ein dreiundfünfzigjähriger Mann mit mir im Zimmer. Nachdem ich vorsichtig fragte, was ihn hierher führte, begann er mir freudestrahlend von seinem vielseitigen Berufsleben zu erzählen, das ihn die halbe Welt hat erkunden lassen. Bis ihm seine Krankheit, die ihn mittlerweile sichtlich hat altern lassen, einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Seine Stimmung kippte plötzlich und er offenbarte mir seine Krankengeschichte, die mich zu Tränen rührte.

Mit einem Routineeingriff hätte alles begonnen, sagte er. Nach der Operation erlitt er ein multiples Organversagen, von dem er sich nur schwer und sehr langsam erholte. Depressionen waren die Folge. Dann verließ ihn seine Frau, Freunde brachen den Kontakt ab, er wurde früh berentet, hatte folglich weniger Geld und verwarf sich obendrein mit seinen beiden Kindern, sodass er auch diesmal wieder keinen Krankenbesuch zu erwarten hatte. Seine Ärzte eröffneten ihm circa eineinhalb Jahre nach der Bein-Operation, dass er sehr schlechte Nierenwerte habe und dialysiert werden müsse. Als ich ihn kennengelernt habe, lag er aufgrund dunkelbraun angelaufener Füße und Beine im Krankenhaus, was ihm große Schmerzen und verständlicherweise Angst bereitete. Die Ärzte vermuteten ein Herzproblem, erzählte er mir verzweifelt. Mittlerweile starrte ich wie paralysiert an die Decke und spürte, wie tief mich sein Schicksal berührte. Mir liefen Tränen über die Wange, die ich versuchte unbemerkt wegzuwischen. Es waren weniger Tränen des Mitleids, als vielmehr des Verständnisses und Mitgefühls. Mich trafen seine unverblümten und von Verzweiflung gefärbten Worte mitten ins Herz. Sie machten mir bewusst, wie Ergeben wir vor der Willkür und dem Schicksal des Lebens sind. Auch wird mir nach jedem Krankenhausbesuch vor Augen gehalten, welch Wunderwerk unser Körper eigentlich darstellt und dass wir Gesundheit nicht per se als gegeben sehen dürfen. Als ich das Krankenhaus zwei Tage nach meiner Einlieferung schon wieder verließ, umarmte er mich zur Verabschiedung herzhaft lächelnd und bedankte sich aufrichtig für das Gespräch, bei dem ich größtenteils „nur“ zuhörte, ihm also quasi ein paar Minuten meiner Zeit schenkte. An diesen sehr prägenden Augenblick erinnere ich mich gerne zurück, weil so wenig von mir, so viel bewirkte.

Dieser Text erscheint vielleicht etwas düster und traurig. Das soll er gar nicht, denn ich bin voller Lebensfreude und Neugierde. Er ist eher als Appell an dich gedacht im Leben nach Glück zu streben und es zu umarmen! Ich liebe das Leben, meinen Beruf und die Begegnungen mit Menschen. Meinem Vater bin ich für dieses kostbare Geschenk auf ewig dankbar. Ich fühle jeden morgen Dankbarkeit und Demut, weil mir bewusst ist, dass ich jeden Tag voll auskosten muss.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Zielsetzung für die Fokussierung eines Projekts  wichtig ist. Viel wichtiger ist es jedoch, sich offenen Herzens auf den Weg der Zielerfüllung zu begeben. Ich bin mir sicher: Nur durch eine Offenheit, Flexibilität sowie Neugierde Begegnungen und ungeplanten Geschehnissen gegenüber, erhält man den erstrebenswerten „Blick über den Tellerrand“ und gewinnt die Erkenntnis, dass vertrauensvolle zwischenmenschliche Beziehungen und Wertschätzung füreinander, unsere Welt ein Stück besser, dich glücklicher und schließlich dein Projekt noch erfolgreicher macht. 

 

Über den Autor

Shai Hoffmann ist Social Entrepreneur (karma-classics.de) und macht Dinge, die ihn und seine Umwelt sehr glücklich machen. Dazu gehört beispielsweise das Netzwerktreffen für Macher*innen und Engagierte Get Engaged  (getengaged.de) und sein Projekt CrowdLove (crowdlove.de). Shai hat ein vielseitiges Netzwerk und liebt Begegnungen. Wenn du ihn kennenlernen willst, findest du ihn unter seinem Namen auf Facebook, Twitter und Instagram.
    
Shai Hoffmann

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